GEDICHTE
IN WAHRHEIT AUS LIEBE
In Sommerzimmern aus goldenen Schatten,
im wechselnden Licht mit süßen, mit matten
verloren sich gebenden Körpern und Seelen
wächst Liebe wie Gras, wie Rosen, ein Dickicht.
Die Blicke in Augen, versonnen und heilend,
den Kosmos des Anvertrauten durcheilend -
verzichten darauf, sein Geheimnis zu stehlen.
Und gläsern verletzlich wird alles, was blickdicht
sich jenem verschloss, der näher sich sehnte
und hungrig nach mehr in das Einssein sich lehnte.
Will einer den anderen wirklich erwählen
wächst Liebe wie Gras, wie Rosen; ein Blicklicht
aus Herzen, die sehen und fühlen und lenken,
die wärmen statt wägen und wachen. Verschenken
will Himmelreich sich und dich arm nicht zählen
in goldenen Zimmern aus Sommer; und will nicht
vergeuden die Stunden aus Suchen und Finden,
die glückverheißend uns alle verbinden
im Schatten der Rosen, in gräsernen Sälen
durch süße Umarmung der Seelen verwirklicht.
SOMMERGEWITTER
1. Der Himmel hängt schweigend sein staubschweres Kleid
an den Haken der Bäume; und drüben
am Feldrain steht das Gewitter bereit,
es rumpelt in heftigen Schüben.
2. Die Rosen ducken sich duftend und matt
in Rosmarin, Salbei, Lavendel.
Des Nachbarn Katze schleicht kühl und glatt,
sie trägt eine Maus am Bändel.
3. Schau: Finster wird’s, drohend, die Schwüle steigt an
und fällt umso schwerer hernieder;
der Buchfink wärmt munter den Schnabel daran
und hält denselben dann wieder.
4. Da: Plötzlich fallen die Wolken entzwei,
ein Riss, leuchtend wie eine Wunde!
Ein Zucken bricht los, ein Tosen, ein Schrei
verkündet des Kampfes Stunde.
5. Das Himmelsgewand wird zerfetzt, genässt,
die Segel schlagen ins Wasser!
In Neon und Schwarz feiert droben ihr Fest
die Mannschaft der Friedenshasser.
6. Doch langsam verzieht sich das tosende Pack,
es rackern noch einzelne Winde;
das Zucken wird süßlich, und ab ist der Lack,
wenn’s säuselt und tröpfelt gar linde.
7. Herr Donner schlägt sich den Blitz aus dem Kopf,
er brummelt verdrießlich; der Regen
wäscht ihm denselben; der arme Tropf
hat schließlich nichts mehr dagegen.
8. Wir lernen daraus, dass manche aus Frust
sich grässlich und tobend gebärden;
doch irgendwann dann verlässt sie die Lust:
Sie woll’n wieder braver werden
Im Angedenken an Mieze, 20.6.2017
Sterbende Jägerin
Ein schräger Blick aus
Waldvergessenheit, immer das
Opfer im Augenmerk, das den Winkel
schneidet; funkenstiebend ein Aufmerken,
schon längst jagend, bevor der Muskel sich regt
in der Anspannung aus Fell und Fieber; eine Lust,
aus der Trägheit erwacht wie ein Steppenbrand, eine
plötzliche Hölle für Ahnungslose, auch katzengnädiges
Erlösen aus dem Hier- ins Dasein. Schon flattert die nächste
Seele, huldvoll entlassen aus dem Rachen der Häusigen, jener,
die, goldweiß-gestreift, lässig dem Wirken des einen oder anderen
Gottes zuschaut, sich wegdreht, mühelos, dem Trauerwirbel entgegen,
den der eigene Abgang in Menschenseelen entfacht. Ein Häufchen Tod
nun, leisloses Maunzen, Spuckefaden aus Abschied, konzertierter letzter
Puls, ein Zerbeben, ein Kreisen und Verzeichnen der Pupillen. In Augen
aus dreifach geborgenem Bernstein lagern Er-Innerungen wie Gräser
und wachsen so langsam nach außen, dass ein Sterben erweckt wird.
Berührung wird jetzt zum Tasten in Haut und Knochen; sehnig das
wenige, was blieb und vergehen wird im stetigen Ab-Leben.
Aufleben wird nur, was als honigheißer Atem in die
Annalen des Gartens geschrieben und, abgebildet
in Käferaugen, die Lebensminuten der Mit-Tiere
überdauern mag. In Mit-Menschens Gedächtnis aber
und in Fingerspitzenanzeigern streift sie noch lange als
Glücksschatten durch die Steppenwärme eines atmenden
Katzenkörpers. Selbst ist der Tod. Und selbst der Tod ist
aus. Katze.
GEISTERSTUNDE
Von ferne sieht das Erdenrund
so friedlich aus, juwelengleich
in Königsblau, ein Königreich,
von dem im Weltall geht die Kund’,
dass auf ihm, grell und kunterbunt,
Gewimmel herrscht und Streich um Streich
Veränderung: aus hart wird weich,
aus krumm wird grad’, aus eckig rund,
aus lustig fad, aus krank gesund;
ein Wunderwandel-Schimmerteich,
ein Spieglein und ein Spielbereich,
aus dem mit göttlich weisem Mund
wird angesagt, wes’ Geist die Stund’.
KIRMES
Der Abgesang ist noch gestundet, und lächelnd lehnt sich gold’nes Feld
an Schultern, weich und wohl gerundet, in Arme, denen es gefällt
das Gold der Ernte einzubringen.
Die Himmelsgöttin selber nimmt mit kühler Hand das Zepter auf
und schwingt es, dass in Blau und Zimt die Sterne fallen; Jahreslauf
vermag selbst sie nicht aufzuhalten.
Der Nebel, der in Blättern nistet, verteilt in Herz sich und Verstand;
der Winter ist schon aufgelistet, er ist des Sommers Unterpfand
und wird, wie immer, schroffer klingen;
was dich nicht schreckt, du armes Kind, das frierend in der Ecke hockt
in Herbstes Weh und Herbstes Wind, vom Abgesang hervorgelockt.
Denn noch bevor wir hier erkalten
wird groß gefeiert, feist gelacht, ein Schwein geschlachtet und verzehrt,
wird Nacht zum Tag und Tag zur Nacht, die Stube gründlich ausgekehrt;
und während Jahreszeiten ringen
da tanzen wir die Kirchweihmess’ und tragen uns so recht zur Schau
und schauen lind und lachen kess, bevor die Winde gar zu rauh
und Stürme eigenmächtig schalten,
das Unterste zu oberst weh’n, die Ordnung an sich reißen kühn,
obwohl sie nichts so recht versteh’n. Doch im Gedränge wird erblüh’n
die Liebe zu den Herzensdingen und wird sich hoch und höher schwingen.
Und an den Händen, die wir halten, misst sich das Glück, das wir verwalten.
Der
Rosmarin hat Reif
wie weißen Rost an den
Fingerspitzen kleben. Herbst
will reifen. Rost will Rosenfinger
ergreifen und daran so lange ziehen,
bis der Tau in weiß vom Himmel taumelt.
Weißt du, wie lange solch ein Herbst rostet,
bis er schließlich mit klebenden Fingerspitzen
die Bienen vom Himmel geklaubt hat? Quittengelb
kommen mir die Gedanken, kürbiskernklappernd
fällt einer
nach dem
andern
ins Gras neben den rosig
rostenden Rosmarin, an dem
Bienen vor lauter Honig kleben,
den sie den
Kranken spenden mussten, ohne
gefragt zu werden. Rostiger
Honig klappert im Mund.
Warmherziger wird
der November
nicht
mehr werden;
aber diese Lampe
wird treulich leuchten.
NOCH
EIN NOVEMBER
Müde Clownsgesichter
aus Herbst hängen nun fester
verhakt im Gerüst der Wälder. Viel
eisiges Gesetz herrscht dort, wo gestern
noch ein Ozean sich rauschend an den Strand
aus Blatt und Blüte warf. Ein Beerenschwarz krallt
Dornen
in die
leere
Stirn der
Sträucher;
und Amselruf
verschärft die
Stille, die sich
endlich gibt und
doch, aus harscher
Schweigsamkeit heraus,
ihr Königinnenrecht bezieht.
Der Hagebuttenkranz schmückt
dort nicht mehr, wo Siege ohne Ruhm
vergeh’n. Im Garten hat der Rosmarin den
Reif wie weißen Rost an Fingerspitzen kleben.
Der Herbst will reifen. Rost will Rosenfinger greifen
und daran so lange zieh’n, bis Tau in weiß aus Wolken
taumelt. Weißt du, wie lange solch ein Herbst wohl rostet?
Weißt du, wie lange es wohl dauert, bis er schließlich alle Bienen
sich vom Himmel klaubte? Und weiter - Quittengelber färben sich
die Herbstgedanken:
Kürbiskernklappernd
fällt einer
nach dem
andern
ins Gras
neben den rosig rostenden
Rosmarin, an dem die Bienen
vor lauter Honig kleben, den sie
spenden mussten, ohne gefragt
zu werden. Rostiger Honig
klappert im Mund.
Warmherziger
wird der
November
wohl nicht
mehr werden;
aber seine Lampen
werden treulich leuchten.
DEZEMBERWUNDER I
Sterne regnen öfter nun auf Menschenhäupter, die erst
himmelwärts sich wenden, wenn ein Staunen in sie wächst.
Regenbogen fällt erschauernd auf sie nieder, malt Gesichter
bunt, die eben noch in Grau verebbten. Und ein Staub das
Leben, das sich gestern gab, als sei es ewig und vergeblich.
Sieh: die Herrlichkeit der Schöpfung spielt sich selber vor!
Welch ein Glück, dass Kinder auf die Erde kommen, bleiben,
gehen, wie es sich und uns gefällt. Denn ein Mai im Winter
ist geboren; und der Sand, gehäuft zum Sturm, verwirbelt
Religion und Sitte in die Kenntnisnahme unsres Seins. Über
alle Schultern lugt das Neue, Unverbrauchte; sittenstreng und
schal war das gebeugte Knie, das, aufgescheuert von der Demut,
die nicht weiterwusste, wahres Lieben stets verschmähte.
Denn nur jenseits unsres Diesseits’ liegt das Leben dessen, der
sich selbst verschenkte. Und im Jenseits trägt er uns, uns ALLE,
die er auserkoren. Beides ist schon längst verschmolzen, funkelt
aus den Augen derer, die dem Wahne folgen, Liebe jetzt und neu
und immerfort zu wagen in den Tagen und den vielen
lind
geweihten
Nächten.
DEZEMBERWUNDER II
Sterne
regnen
öfter nun auf
Menschenhäupter,
die erst himmelwärts sich
wenden,
wenn ein Staunen
in sie wächst. Regenbogen
fällt erschauernd auf sie nieder,
malt Gesichter bunt, die eben noch in
Grau verebbten. Und ein Staub das Leben, das
sich gestern gab, als sei es ewig und vergeblich. Sieh:
die Herrlichkeit der Schöpfung spielt sich selber vor!
Welch
ein Glück,
dass Kinder
auf die Erde kommen,
bleiben, gehen, wie es sich und
uns gefällt. Denn ein Mai im Winter
ist geboren; und der Sand, gehäuft zum
Sturm, verwirbelt Religion und Sitte in die
Kenntnisnahme uns’res Seins. Über alle Schultern
lugt das Neue, Unverbrauchte; sittenstreng und schal war
das gebeugte Knie, das, aufgescheuert von der Demut, die nicht
weiterwusste, wahres Lieben stets verschmähte. Denn nur jenseits
uns’res Diesseits’ liegt das Leben dessen, der sich selbst verschenkte.
Und im Jenseits trägt er uns, uns alle, die er auserkoren. Beides ist schon
längst verschmolzen, funkelt aus den Augen derer, die dem Wahne folgen,
Liebe jetzt und neu und immerfort zu wagen in den Tagen und den vielen lind
geweihten
Nächten.
Wenn’s
auch nicht
Liebe war
Wie immer
rutschte sie an
ihm ab wie an einer
gekachelten Wand. Ohne
die Lider zu heben wusste sie,
welche Worte mal wieder hinter
seinem muschelverschlossenen
Mund verebben würden. Und
trotzdem häufelte sie sich
wie eine Sandburg vor
seine Füße. Er, der
weder
Flut noch
Himmel war,
beugte sich wie
immer mal wieder
nicht zu ihr nieder.
Und so blieben sie
und wiegten sich
in
der
Sicherheit
dessen, was
sie voneinander
zu erwarten hatten.
Wenn’s Liebe war
Im Gelichter
des Herbstgoldes
schwingt sich die Sonne
ein in den Tanz der Schatten.
Ewig ist die Liebe, die sich gibt
und das nimmt, was sie zu geben
bereit ist. In den Augen deiner
Liebe schwingt ewig das
Herbstgold deiner
Sonne.
WINTERAUSKEHR
Heller werden die Tage nun,
Einkehr ward zur Auskehr beschlossen;
während Stunden und Tage verflossen
gab es kein Ruh’n.
Weiter und weiter dreht sich das Rad,
Wintermensch wird zum Frühlingswesen,
schnellstens will nun der Himmel genesen,
fand sich zu fad.
Blüten locken im Geiste schon,
Früchte werden bald ausgegeben,
schneller dreht sich Leben um Leben,
Lohn um Lohn.
Unserer Hände Arbeit reiht
sich in anderer Hände Treiben;
wollen wir alle glücklich bleiben,
sind wir geweiht
neu zum Dienst auf dieser Welt;
wer dereinst zu einsam sich dünkte,
doch im Herzen stets sich verjüngte
nun erhält
preiswertes Staunen, reich belohnt
durch das Zauberwerk dieser Erde!
Auf dass ein jeder weise werde,
der sie bewohnt.
NEIN!
Im Namen
des Königs
verirrte er sich
in mein Augenmerk.
Wimpernschnell die Befehle
der Herzen, die es nun zu bändigen
gilt. Soldatisch der Mut der zur Liebe
Einberufenen im Angesicht des Verzichts.
SELTSAME SONNE
Seltsame Sonne
dreht sich ums Eck,
wirft den rosageränderten Blick
auf die verwaiste Lichtung,
in deren AugenBlick
wir Arm in Arm
schlafend liegen.
Dort ruhen wir,
bis der Häher uns weckt.
GOLDAUGENNACHT
Mit goldenen Augen schaut die Nacht auf uns hernieder,
uns, die nimmermüden Kinder voller Glücksverlangen,
Sehnsuchtsbangen und Vertrauen. Nimmermüde fragen wir,
werden es nicht satt, noch immer mehr und mehr zu wollen,
ohne einen Preis dafür zu zahlen, sei es auch nur eine Unze
Liebe. „Liebe?“, fragen wir und halten uns die Augen zu.
„Liebe? Was soll das denn sein? Lieben wir nicht viel zu viel
und viel zu viele? Sollten wir nicht eine Unze weniger an Liebe
geben und stattdessen eine Unze mehr für uns behalten von
all dem, das es nicht lange mehr im Überflusse gibt? Sollten
wir nicht geizen und uns lieber nicht verleiten lassen von
dem Fremden, der so klein und krumm in jener Krippe lag,
die Bethlehem noch nicht mal freien Stückes zur Verfügung
stellte? Sollten wir nicht mehr und mehr an uns und unser
Wohl uns halten, statt dem Stern zu folgen, der uns immer
weiter wegführt von den reich gefüllten Trögen? Sind nicht
wir es, die wie Schafe blöde blöken und der Liebe folgen,
die uns arm macht und verloren?
„Liebe“, sagt die gold’ne Nacht und schlägt die Augen nieder,
„Liebe wird euch retten, nur die Liebe. Wollt ihr heute schon
das Heil erspüren, sei es euch gewährt. Wollt ihr heute schon
den Mangel spüren, dann entsagt der Liebe voll und ganz.“
JAHRESBEGINN
Jedem Anfang wohnt sie inne:
Zauberei im neuen Land;
wie in ritterlicher Minne
bietet Schicksal dir die Hand.
Willst ein neues Leben weben,
weil das alte Jahr verrann,
willst dir noch mehr Mühe geben,
brechen alten Zauberbann,
der die Liebe dir entrungen
und den Gram ins Herz gestellt,
Zeit und Kraft sich ausbedungen,
Lebensfreude dir vergällt.
Weg damit, nun geht es weiter,
und die Uhren steh’n auf Eins!
Frag dich: Wer ist Ross, wer Reiter?
Lebst du Fremdes oder deins?
Bist nicht du es, der entscheidet,
ob gelacht wird oder nicht?
Bist nicht du es, der hier leidet,
dem an Liebe es gebricht?
Niemand außer dir kann helfen,
wenn du trübe fühlst und denkst
und dem Reigen kesser Elfen
keinen Raum mehr in dir schenkst.
Leichtigkeit und Licht und Liebe
soll’n ab jetzt in allem sein!
Dumpfgedanken, Liebesdiebe -
lass sie nicht mehr in dich ein!
DER AUFTRAG
So kamillenlind dein Trost, wenn ich nicht weiterweiß.
Trägt dein Denken stets die weißen Blütenblätter, die,
am Rand geriffelt vor Gefühl, sich zart und lieblich in die
Sonne meines Herzens recken? Ausgesprochen ist nur
das, was rasten wollte; ohne Eile dein Gebet. Und um
jeden Preis würd’ ich mich nur bewerben, wenn der
Siegerlohn in Liebe würde ausgezahlt.
Wie ein Kind fühl ich mich ausgelost; ausgelöst ganz leis’
aus deinem Großen, Ganzen, das schon immer war; nie
war Wut in mir noch Zweifel, Trauer nur und Wehmut;
wecken wollt’ ich und schlief ein. Gegen alle Winde
stemmt sich dennoch Gottesliebe, Kräfte steigen statt
zu fallen; und wenn unsr’e Seelen flattern,
runzelt bunt der Horizont die Stirn.
Weich und zart bemoost der Wald, gefügt zum Kreis.
Auf der Lichtung fragt sich deine Schöpfung, wie,
fragt sich, wie, um Himmels willen, du der Liebe
Hoffnung gabst, wo du genommen hast so viel? Ist es
Wahrheit, ist es Spiel, dies Leben, so kamillenlind
und blickdicht hart zugleich? Können wir dir
angemessen dienen ohne uns zu wenden?
Der, den du liebkost, der Erdenkloß, um jeden Preis -
er will sich recken, dehnen, will dich lieben und die
Ehre dir erweisen; dich verprellen tut er letztlich doch,
weil Dunkles in ihm ruht. Denn das Gute, das du ihm
geboten, will sich manches Mal nicht höher strecken,
will nicht linde, will vermessen sein.
Und dein Blütenblatt so weiß und zart auf dieser Erden
muss von uns behütet werden.
DER ATEM DER STADT
Steinherzlich pulsiert der Atem der Stadt. Blattgold legt sich auf Risse aus
Zement und Mauerschweiß; runzlig der Faltenwurf aus Schindel und Ton.
Heute war gestern erst. Deine Stimme, vertraut mit dem Schmerz der Gezeiten, modelliert das Abendgebet. Später erst, wenn die Lichter verlöschen, bedecken
wir uns mit dem Schwindel der Nacht.
DAS HEILIGE
Die Zeiten wandern über die Länder der Erde und verändern ihr Antlitz;
auf schäumen die Meere, ab steigen die Nebel und verhüllen, was einst
schroff und unzugänglich. Über Asphaltdecken strömen die Menschen;
wie Gänseblümchen punkten sie ihre Schritte fein säuberlich auf Graues
und Schwarzes.
Unter den Kapuzen ist das Mönchische fern, nah indes ist, was uns alle
ärmer werden lässt. Wände aus Gier erheben sich allerorten, Gesichter
aus Pappe und Stroh, Glücksgesichter, frohlockend; in feinen, schmalen,
glatten, alterslosen Händen liegen wie Geschmeide die kleinen und großen
Geräte, die uns
das Lachen entnehmen und aus den Herzen die Liebe entfernen. Und
schneller dreht sich die Zeit und dreht sich wie ein schäumender Sog und
zieht uns hinab zum Grunde des Stroms, hinab zum Schatz der Nibelungen,
der heiß begehrt ist und von alters her verflucht.
Wahre Seligkeit liegt jenseits der Dinge, jenseits der Wünsche, jenseits
dessen, was wir gestern noch erstrebten. Und nur reine Geister mit reinen
Herzen können bewirken, dass aus dem Verfluchtem das Heilige erwächst.
Überflutungen I
Schiffe kreuzen in den
Häuptern der Bäume,
verqueren die Nester
der Daheimgebliebenen.
Das Rheingold erblasst
unter der Wucht des
kahlen Himmels. Fische
springen dort, wo den
Burgen Mund und Nase
wuchsen. Weltlicher nun
die Auen und Fluren,
Gottes Gesicht verspiegelt
im singmüden Nixengrab.
Nur dort ist Licht, wo
Liebe ist.
Überflutungen II
Das Rheingold erblasst unter der Wucht des Wohlfühl-Himmels.
Gottes Gesicht liegt verspiegelt auf dem Singsang des Nixengrabs,
woraufhin die Auen und Fluren weltlicher klingen. Schiffe durchkreuzen
die Nester der Daheimgebliebenen. Fische springen nun dort, wo sonst
Burgen die Münder und Nasen wuchsen und Waschweiber sich
leinenweiß tratschten. Nunmehr ertrinken die Kiesel schweigend, auch
die Kinderschaukel enthält sich der Stimme. Den Schafen wird ein
Tauchlehrgang angeboten. Im Licht der Liebe gingen wir unter.
Sterngeädert
in sanften Schlingungen
aus reisrauschenden Hügeln
in die Dämmerung gesunken
auf leisen Sohlen
ineinandergewandert
aneinander emporgewuchert
in einer Liebe aus Schwinge und
Schnabelkuss
liebeleis’ zum Mond geflogen
flüsterlaut einander zugesprochen
auf ewig
MÄRZENMÄR
In den Augenwinkeln der Winterbäume
zwinkert verstohlen ein Sonnengold. Lange
schon ruhen inwendig die Blütenbilder, doch
es bedarf der linder streichelnden Gebärden
aus Licht und Glitzerstaub, um die Säfte und
Kräfte steigen zu lassen.
Der Frühlingsreigen, von langer Hand eröffnet,
wird dirigiert und angeführt von Wolkenweibern
in Korsage und Reifrock, die über den schaukelnden
Himmel ziehen und sich wiegen lassen im Takt, den
die Wipfelsäume an den Horizont nähen. Nimmer
zerren Herrische aus dem Boden,
was ihnen den Vogel zu zeigen wagte; in holder
Umarmung verschränkt sich indessen das Oben
und Unten. Paradiese stellen die fliegenden Düfte
und schimmernden Formen zur Verfügung, die die
planlos Wimmelnden an den Lebens- und
Liebessinn erinnern soll.
Kenner atmen nun tiefer ein und aus; und länger
leben die, die den Frühling für immer in sich bewahren.
HIMMELSSTÜRMER
In seelenlichten Augenblicken seh’ ich dich,
Geliebter, wie du kühn und ruhelos den
Horizont erwanderst und noch mehr begehrst.
Sonnenfern sind manchmal deine Ziele, doch
sie kreisen mehr und mehr um dich, das Zentrum
ihres Ursprungs, und magnetisch wirst du wie
ein eigener Planet. Fülle dich mit dem, was du
dir wünschen magst und stell es dir vor Augen,
dass es schnell und reich lebendig werde. Und
nur das, was langsam wächst, lass ruh’n, auf dass
es schöner noch erblühe, als du es in deinen
Träumen dir schon ausgemalt. Wache in den
Stunden, die dir Übersinnliches gewähren; nimm
stattdessen alles mit in deinen Schlaf, was dich
wachsen lassen will: gemeint sind deine Liebe, deine
Klarheit, Lachen und Geduld. Und wenn plötzlich
Sterne auf dich regnen, lasse es gescheh’n. Streichel
sie; und so wie deine liebenden Gedanken dich in
deinem Innern streicheln, wärmen und in and’re
Sphären transformieren, wird die Liebe dich erheben
und zum Quell des dauerhaften Glückes werden.
SCHATTENSTÄTTE
In den Moosschatten der Hinterhöfe an der Hand des Geheimnisführers sonnen
sich die Häuser wie Mädchen, küssen sich Fassaden, lehnen frühlingstrunken und blattgrüngolden die verschwiegen Liebenden an Bäumen und auf Kieselgrund.
Nimmer kehren Stunden wieder, denn die Zeit steht still.
SCHNABELKUSS
Wie an eine Tafel schreiben Vögel ihre Lieder auf den Himmel, und mit Kreide füge
ich ein Herz hinzu, durch das wir eingeh'n in die Welt, die wir aus Liebe uns erschufen. Wie ein Vogel flieg ich zu dir, lass mich auf dir nieder und liebkose dich mit meinem Schnabel. Sonnenwind lässt mein Gefieder glänzen, und mein Herz pocht warm und weich an deiner Brust.
MEHR
Noch rauscht das Meer in mir, und der goldfunkelnde Sand verwirbelt in meinem und deinem Herzen. Du hast mich mit deiner Liebe überflutet und in deinen Armen gewiegt wie ein Meermann die Meerfrau. Zusammen sind wir das Ein- und Ausatmen des Ozeans. Ich hänge mich heute wie eine kleine Muschel an dein Ohr und klimpere mit perlmuttfarbener Schimmerstimme Liebesworte. Und sie leuchten in deinem Kopf wie phosphoreszierende Buchstaben, die Leuchtspuren durch dich ziehen und dich daran erinnern, dass du Geist bist und aus dem weiten Kosmos kommst und zugleich Mensch, der mit seiner Liebe Leuchtspuren auf dem Planeten hinterlässt.
BROMBEERFARBENE ANFRAGE
Ich grüße dich im Brombeergeflüster des sonnengefleckten Himmelswaldes,
in den wir uns zurückziehen werden, wenn die Zeit da ist. Hast du den Gipfeln den Kopf gewaschen oder ein wenig zurechtgerückt? Hast du den Tälern von unserer Lichtung erzählt?
WILDWALD
In den quittengelben Umhang der letzten Sonnenstrahlen gehüllt zaubern wir Waldstunden aus dem Nichts. Unsere Küsse legen sich leicht auf die Haut aus Erde und Licht. Wissend ducken sich die Gräser und lassen erst dann den Tau abperlen, wenn wir es ihnen erlauben. Kein Wald wird bleiben, was er war, sobald er schützend sein Dach aus Gezweig und Blättergewirr über uns deckte. Moosfarben der Beginn aus Nacht und Sternenflor.
Bergmorgen
Schattenrissig zweigt die Felswand über meinem Kopf.
Zeichen sind gesendet aus der veilchenroten Anderswelt,
die Himmel über Himmel türmt und dann vergisst, sie
wieder abzuräumen. Unverfroren hängen Zapfen an den
Zackenbäumen. Winterbach erstarrt in Ehrfurcht, und
der Hirsch lüpft seinen Hut.
Höflich hüpft die Elster sich um Kopf und Kragen, sammelt
Eis und Schnee fürs Nest, in dem’s ab jetzt gefährlich glitzert.
Sanft verschlägt der Horizont sich zum Omelett. Dottergelb
verfärben sich die Zeichen, kauert Wanderwind im Schattenriss.
Über meinem Kopf beginnt das Tanzen.
Schräg stürzt Habicht aus dem Eiweißschaum, der an den
Rändern stockt und duftet wie ein Glücksversprechen. Kalt ist’s,
enger schlinge meine Arme ich um das, was Wolle ist und einst
ein Schäfchen wärmte. Heut’ bin ich das Schaf, Schaf der Berge,
das im Zweiggezitter Morgen dämmern sieht und jenem Hirsch
die Hufe blank poliert, der gar so treulich grüßte.
Dolchstoß zuckt, weil silberschwarz der Schimmerzapfen seinen
Baum verließ. Heller klingt der Kuss aus Schnee auf meinen
Lippen. Wie’s nun stäubt und Sonne sich den Hängen widmet!
Und die Feder, die der Habicht gern verschenkt,
sinkt langsam zu mir nieder.
FLUGLICHT
Aus den Himmelsgewölben in silbergrau
mit Ahnungen aus Gold und Brombeerblau
fliegt dein Lächeln über meinen Horizont.
WEIß
Im Glitzerweiß
gewünschter Nähe
steigen Täler, senken Berge
sich. Nie hätt’ ich dies Lied erdacht,
wenn nicht das Lieben wär’, so süß und
nimmersatt, erfüllend und verzehrend wie
ein Amsellied im sommersanft geschwung’nen
Himmelsbogen; und würd’ deine Hand in diesem
Augenblick das Glück umfassen, dann wär’ wilder
Regen in mir und in dir ein Glühen, das den müden
Morgenhimmel zum Erröten brächte. Bring mich
nun
zum Klingen,
küss mich
auf
das Glitzerweiß
gewünschter Nähe.
Und denk dich in meine Träume.
MONDWUNSCH
Der suppige Mond
will heut Nacht gegessen
werden. Komm zu Tisch.
SCHERZKEKS
Schon zieht der April ins Land,
Frühling nimmt jetzt überhand;
hätt’ April nicht übernommen,
wär’ der Frühling nicht gekommen.
Der April will, was er macht,
und wenn heut’ die Sonne lacht,
mag sie morgen nur noch greinen,
denn April lässt Himmel weinen,
wenn ihm einfach danach ist.
Und der Hahn steht auf dem Mist,
kräht dem Frühling morgenmunter
seinen Himmel etwas bunter.
Graupelschauer, Frostes Blitz,
das gehört zum Frühlingswitz
des Aprils, der niemals scheute
rechten Zorn der Bauersleute.
Schon am ersten Tage braut
er sein Süppchen und vertraut
auf die kindesfrohen Späße,
die ein jeder bald vergäße,
gäbe es nicht Jahr für Jahr,
lässig und des Sinnes bar,
Zeitungsenten, schlechte Räte,
dass ins fette Näpfchen träte
der, der’s Datum nicht gewusst.
Und wer dazu keine Lust,
weil die Witze nichts mehr taugen,
tritt sich auf die Hühneraugen,
jagt sich in des Bockes Horn
und beginnt im Mai von vorn.
Denn der wartet schon im Walde,
horch, vernimm’s, er kommt schon balde.
MAIENFEIER
Wie ein Lachen fliegt die Sonne über den Horizont.
Balzend spreizt der Himmel sein Wolkengefieder und
lässt Gänseblümchen fallen, die sich täglich die Augen
nach ihm ausblinzeln. Der Mai kondoliert dem April
ohne Schadenfreude.
Nächtens flüstert der halbierte Mond. Im Großen und
Ganzen leuchtet er heller, je mehr Schlafende seines
Zuspruchs bedürfen. Spinnennetze sind nun wärmer
versponnen. Der Gundermann kriecht biologisch-
dynamisch von Blume zu Blume, um die Frühlingsfeier
zu organisieren.
Liliengleich nicken die letzten Tulpen. Die Reisigbesen,
die noch vor kurzem, um sich ihr Ansehen zu sichern,
das Blau vom Himmel kratzten, haben sich unversehens
in Sträuße verwandelt. Der Häher wahrt auf gutem Grund
seinen Anstand. Bänkelsänger fliegen umher.
In den Wipfeln ist Unruh’. Verkehrssicherheit wird groß
ins Morgenrot geschrieben, wenn Vögel und Gänseblümchen
kollidieren. Kluge Köpfe rollen mit den Augen, wenn sie ihre
Fahrräder betreten, denn es duftet allerorten nach Veilchenseife.
Wer genügend Frühlingsgefühle gehortet hat, darf jetzt damit
an die Börse gehen.
SEPTEMBER
MOND
Mein Himmel hat
den Orangenmond von
der Tischkante gekugelt,
sodass er nun mit seinem
Saft die andere Hälfte der
Erdkugel ins Schwimmen
bringt.
Auberginengleich die
Dämmerung; aus dem Samt
der Nacht dringt deine Stimme.
Sicher wird ein Morgen dämmern, in
dem das Blut der Trauben uns erweckt und
flügelleicht die Sommer heimbringt in die Ödnis
fahler Träume. Sieh nur: Sommersanft dein Lächeln;
aus der Tiefe deiner Stimme Nacht aus Auberginen.
Und ein Mond in Zitruslaune weckt den Morgen.
Sieh: dein Himmel
zieht den Vorhang auf.
IM WARTEZIMMER DER PSYCHIATRIE
Dieses Wartezimmer ist ein Körper. Menschen werden
ein- und ausgeatmet; und sie grüßen, wenn sie kommen,
und sie grüßen, wenn sie gehen. Wenn sie sitzen, aufgereiht,
in Leid verknotet, herrscht mich ihre Stille an.
Manche Köpfe sind halbiert und hinter Knisterzeitungsbunt
verborgen - Bunt, das grau wird in Gehirnen, denen Farbe
abgeht. Auch die halben Köpfe sind ein Wartezimmer. Die
Gedanken ziehen lärmend ein wie Kriegsgefolge.
Ja, auch diese grüßen, wenn sie kommen, aber gehen
tun sie nicht. Nein, sie bleiben, quetschen sich hinein
und rempeln die, die sitzen, von den Stühlen. Niemand
will hier gehen, alle bleiben, kriechen, stapeln, drehen sich
im Kreise. In den Köpfen wird es deshalb immer enger.
Manche Kopfbesitzer schlagen ihre Augen nieder; diese
Fenster ihrer Seelen sind schon blind gedacht von so viel
Kopfbesetzung; wollten keine Kriege führen, wollten doch
nur glücklich sein. In den Herzen Sturm und Tote...
Wollten doch nur glücklich sein. Lächelnd blind erwarten
Frieden wir auf Erden, Glück und Frieden. Liebeswarm
verschenkt sich Himmelsatem, liebesleicht verschenkt sich
Herz um Herz und nimmt auch dich in seine Hand.
DRAUF GEKOMMEN
Deine Stimme ist kaninchengrün,
wenn du etwas von mir willst.
SCHLUSSENDLICH
Bin ich ein
Schlüssel, schließe
ich auf und zu. Bin ich ein
Schluss, ende ich. Bin ich ein
Beschluss, beschließe ich. Bin
ich ein Beschuss, beschieße
ich. Beschieße ich
mich selbst,
ende ich. Beschließe
ich mich selbst, ende
ich. Schließe ich mich
auf, ende ich in dir.